Ein absehbares Scheitern: Vorerst keine Kinderrechte im Grundgesetz

12.06.2021 | Blog

Kind guckt aus dem Fenster in den Regen

Nun ist eingetreten, was für die meisten Beobachter*innen und Expert*innen ohnehin seit längerer Zeit absehbar war: Die Verhandlungen über den Gesetzesentwurf, der Kinderrechte im Grundgesetz verankern sollte, sind krachend gescheitert. Damit zieht eine weitere Legislaturperiode ergebnislos ins Land. Das KinderRechteForum zieht die Bilanz eines substanzlosen Spektakels rund um dieses wichtige Thema: Denn die Anerkennung der Rechte von Kindern und Jugendlichen gehört ins Grundgesetz.


Kinderrechte und das Grundgesetz, das ist eine Beziehung, die in den letzten Jahren im besten Falle mit kompliziert umschrieben werden könnte. Nächstes Jahr könnten die Bemühungen, ein Kindergrundrecht im Grundgesetz zu verankern, ihren 30. Geburtstag feiern. Seit 1992 bemühen sich Kinderrechtsaktivist*innen und -organisationen um die offizielle Aufnahme der Rechte von Kindern und Jugendlichen in die Verfassung der Republik.

Warum gehören Kinderrechte ins Grundgesetz?

Zwar gilt die UN-Kinderrechtskonvention bereits seit 1992 auch in Deutschland. Ohne Aufnahme ins Grundgesetz hat die Konvention jedoch bloß den rechtlichen Rang eines einfachen Bundesgesetzes: Damit steht sie juristisch unter der Verfassung – was immer wieder zu Konflikten und der Bagatellisierung von Kinderrechten führt. Eine Grundgesetzänderung wäre damit ein wichtiges Zeichen, der Bedeutung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in diesem Land endlich den richtigen Stellenwert zu verschaffen. Nur so werden die Belange und Probleme der Minderjährigen wirklich ernst genommen.  

Im Frühjahr 2018 versprachen SPD und CDU in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Über Jahre hinweg arbeitete man in einer Arbeitsgruppe mit Vertreter*innen aus Bund und Ländern – zusammen mit Oppositionsparteien – an einer Umsetzung. Im Januar dieses Jahres wurde dann endlich auch ein vorläufiger Gesetzesentwurf vorgestellt, welcher im April zum ersten Mal im Bundestag debattiert wurde. Zur Realisierung einer Grundgesetzänderung braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, weswegen langwierige Verhandlungen mit der Opposition folgen sollten.  Zudem war der vorgestellte Gesetzesentwurf von vornherein nicht unumstritten.  

Warum wurde der Gesetzesentwurf kritisiert?

Ein großer Kritikpunkt, der insbesondere von Kinderrechtsorganisationen und Aktivist*innen immer wieder vorgebracht wurde, dreht sich um das Fehlen einer expliziten Stärkung der Beteiligungsrechte von Kindern. Dies ist ein elementarer Punkt der UN-Kinderrechtskonvention. Nur so kann die Partizipation von Kindern und Jugendlichen ermöglicht und gewährleistet werden.  Zudem steht die Formulierung in der Kritik, die die “angemessene Berücksichtigung des Kindeswohl” vorschreibt. Nicht etwa ist von einer “vorrangige Berücksichtigung” die Rede, wie es in der Kinderrechtskonvention zu lesen ist. Man riskiere durch die ursprüngliche Formulierung eine Beschneidung des Elternrechtes, hieß es von Seiten der Union. Nichtsdestotrotz kann ein solcher Wortlaut dazu führen, dass in der Praxis die Interessen von Kindern gegen andere Interessen abgewogen werden. 

Nun sind die Verhandlungen wenige Monate vor der Bundestagswahl gescheitert. Zu viele Parteien hätten zufrieden gestellt, zu viele Kompromisse in zu kurzer Zeit eingegangen werden müssen, so die Rechtfertigung für das gebrochene Koalitionsversprechen. Justiz- und Familienministerin Christine Lambrecht (SPD) moniert einen fehlenden Willen zur Einigung sowohl bei der Opposition als auch beim Regierungspartner CDU. Am Ende habe man kurz vor einer Lösung gestanden, gereicht hat es aber doch nicht. Grüne und Linke forderten stärkere Formulierungen, insbesondere im Bereich der Partizipation von Kindern. Die Union dagegen befürchtete eine Schwächung von Familien zugunsten des Staates und wollte sich nicht auf weitere Zugeständnisse einlassen. 

Was bedeutet das Scheitern für die Kinderrechte in Deutschland?

So weit, so absehbar war das Scheitern für alle, die sich in der Bundesrepublik für Kinderrechte einsetzen. Was bleibt, sind – neben einer Enttäuschung über das Scheitern der notwendigen Grundgesetzreform – vor allem Fragen: Warum wurde erst im letzten Jahr der Legislaturperiode überhaupt ein Gesetzesentwurf vorgestellt und besprochen? Warum gingen die Verhandlungen erst jetzt in die heiße Phase, in einer Periode, in der der Wahlkampf schon auf Hochtouren läuft und produktives politisches Arbeiten über Fraktionsgrenzen hinweg nur noch bedingt möglich ist?  

Am Ende ist festzuhalten: Wenn man sich im politischen Betrieb so lange Zeit für die Umsetzung einer so tiefgreifenden Reform wie diese Grundgesetzänderung lässt und schon im Vorfeld von den Widerständen und Vorstellungen der anderen Parteien weiß, dann fehlt offensichtlich der Wille, das Vorhaben auch wirklich in die Tat umzusetzen. Das ist bezeichnend für den Umgang der Politik in Deutschland mit dem Thema Kinderrechte, die Bedürfnisse und Sorgen von Kindern und Jugendlichen werden weiterhin ignoriert. Gerade während der Pandemie werden Minderjährige vernachlässigt und das Chaos um ihre Schulbildung ungeniert als politischer Spielball missbraucht. Nun wird Kindern und Jugendliche die verdiente Anerkennung ihrer Rechte im Grundgesetz vorsätzlich verwehrt. Das Scheitern der Bundesregierung bildet einen vorläufigen Höhepunkt in einem unwürdigen Polit-Schauspiel, welches die gravierenden Missstände der Kinderrechte in Deutschland aufzeigt.